Auf den Spuren des „Hünsborner Kornprümchens“ und anderer lokaler Pflaumensorten im Kreis Olpe

Dieser Beitrag wurde verfasst für ‚Südsauerland – Heimatstimmen aus dem Kreis Olpe‘, Zeitschrift des Kreisheimatbundes Olpe, und erscheint in Folge 286 (1/2022)

 

Vorgeschichte

Das Naturschutzzentrum Märkischer Kreis versucht mit seinem LEADER-Obstprojekt „Südwestfalens blühende Vielfalt erhalten“ unter anderem, seltene regionale Obstsorten in der LEADER-Region Biggeland wieder zu finden und diese für die Zukunft zu sichern.

Von Dr. Roswitha Kirsch-Stracke aus Wenden sind wir Ende Januar 2021 auf die regionale Pflaumensorte „Hünsborner Kornprümchen“ aufmerksam gemacht worden. Bei dieser Pflaume handelt es sich laut Frau Kirsch-Stracke um eine rot-blaue, runde Frühsorte, die zwischen Ende Juli und Mitte August reift. Aus den schwer steinlösenden Früchten lässt sich ein gutes Kompott herstellen. Dazu werden die Früchte erhitzt und durch eine „Flotte Lotte“ passiert. Der Sortenname deutet auf die Reife der Frucht während der Getreideernte hin. „Prümchen“ als Verkleinerungsform hängt mit der geringen Größe der Pflaume zusammen.

Auch in dem Buch „Obst in Westfalen“, herausgegeben vom Westfälischen Freilichtmuseum Detmold, wird das „Hünsborner Kornprümchen“ erwähnt.[1]

Der letzte Baum, der Frau Kirsch-Stracke bekannt war, stand bei Familie Böhler an der Balzenbergstraße in Wenden, wurde aber mittlerweile gefällt. Das „Hünsborner Kornprümchen“ schien vorerst verschollen. Auch in dem von 2012 bis 2015 durchgeführten Obstprojekt „Erhaltung der genetischen Ressourcen im Obstbau“ des NABU NRW wurde die Pflaumensorte nicht gefunden.[2]

 

Beginn der Sortensuche

Ein Sortenaufruf im Februar 2021 in verschiedenen Zeitungen im Raum Wenden und im angrenzenden Siegerland sollte Näheres in Erfahrung bringen. Nach den veröffentlichten Artikeln zum „Hünsborner Kornprümchen“ gingen mehrere Meldungen im Naturschutzzentrum Märkischer Kreis ein, die vielversprechend klangen. Insgesamt sechs Meldungen stammten aus Wenden-Hünsborn. Zwei Bäume wurden aus Wenden-Ottfingen und einer aus Wenden-Schönau gemeldet. Die „Kornprümchen“ in Ottfingen und Schönau gehen auf verwandtschaftliche oder freundschaftliche Kontakte zu Personen aus Hünsborn zurück.

Im März/April 2021 wurden dann einige der gemeldeten Standorte des „Hünsborner Kornprümchens“ aufgesucht. Bei zwei Baumbesitzern erhielten wir eingekochte bzw. eingefrorene Früchte des „Kornprümchens“. So bestand die Möglichkeit, die Pflaume auch über die Fruchtsteine durch die Steinobstexpertin Dr. Annette Braun-Lüllemann bestimmen zu lassen.

Frau Braun-Lüllemann ging zunächst davon aus, dass das „Hünsborner Kornprümchen“ mit der in Westdeutschland als „Erntepflaume“ oder „Marange“ bezeichneten Frühpflaume übereinstimmt. In Luxemburg wird die Erntepflaume auch als „Karschnattprum“ bezeichnet, also eine Pflaume, die zur Kornernte reif ist.

Die Fruchtsteine des „Hünsborner Kornprümchens“ weichen jedoch von denen der Erntepflaume ab, wie Frau Braun-Lüllemann nach der Untersuchung von zugeleiteten Steinproben feststellte. Daher war es wichtig, zur Reifezeit dieser lokalen Pflaume, Anfang August, von möglichst vielen Standorten des „Kornprümchens“ reife Früchte zur Bestimmung zusammen zu tragen.

Da es uns einige Baumbesitzer zwischen Ende März und Anfang April ermöglichten ausreichend Jungbäume mitzunehmen, werden nun an verschiedenen Stellen in Südwestfalen kleine Pflanzen des „Hünsborner Kornprümchens“ unter unterschiedlichen Bedingungen weiter erhalten. So erhielten beispielsweise das Freilichtmuseum Detmold, das Freilandlabor FLEX der Universität Siegen in Wenden-Schönau und der Hünsborner Obst- und Gartenbauverein kleine Sträucher des „Kornprümchens“.

Weil die Pflaumensorte wurzelecht ist, sind alle aus den Wurzelausläufern des Mutterbaumes hervorgehenden kleinen „Kornprümchen“ mit diesem identisch. Deshalb ist die Sortensicherung durch Veredelung beim „Hünsborner Kornprümchen“ zunächst nicht notwendig. Eine Veredelung auf eine stark wachsende Pflaumen-Unterlage ermöglicht jedoch das einfachere Heranziehen von Halb- und Hochstämmen.

 

Sortenerfassung im Gelände

Nachdem die Kontakte zu den Baumbesitzern der Wendener Ortsteile Gerlingen, Hünsborn, Ottfingen und Schönau bereits im Frühjahr hergestellt waren, galt es nun, die Reife der ersten Früchte des „Hünsborner Kornprümchens“ abzupassen. Nach den Meldungen der ersten Baumeigentümer wurden ab Anfang August die verschiedenen Standorte der gemeldeten „Hünsborner Kornprümchen“ aufgesucht. Die dabei geernteten Früchte landeten nach der Fotodokumentation anschließend erst einmal für mehrere Wochen in einem Kühlschrank, bis sie der Sortenexpertin Braun-Lüllemann vorgelegt werden konnten.

Bei der Ernte der Pflaumen wurde auch klar, dass einzelne gemeldete „Kornprümchen“ Früchte einer anderen Sorte sein mussten. Die meisten „Hünsborner Kornprümchen“ der unterschiedlichen Standorte ähnelten sich jedoch so sehr, so dass diese identisch sein mussten.

 

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Weiterer Sortenfunde und Klärung der Sorte

Durch die Berichterstattung zum „Hünsborner Kornprümchen“ in den Ausgaben der Siegener Zeitung vom 25.08. und 01.10.2021 gingen weitere Sortenmeldungen, auch aus dem Siegener Raum, im Naturschutzzentrum MK ein.

Ende August wurden dann an verschiedenen gemeldeten Standorten im Siegerland vermeintliche „Hünsborner Kornprümchen“ geerntet. Es zeigte sich dabei schnell, dass die Sortensuche mit Hilfe von in der Presse veröffentlichten Fruchtfotos sehr ungenaue Ergebnisse liefert. So wurden in Freudenberg und Siegen-Bürbach Früchte der Kirschpflaume gesichtet. Die Kirschpflaume (Prunus cerasifera), mit kleinen, runden und mirabellenartigen Früchten geht in vielen Gärten auf die Wurzelunterlagen von abgestorbenen Pflaumenbäumen zurück. In Kreuztal waren es die Früchte der „Graf Althans Reneclaude“. Diese Sorte entwickelt zwar auch runde und rot-violette Pflaumen, hat jedoch wesentlich größere Früchte als das „Hünsborner Kornprümchen“.

 

Kornprümchen aus dem Siegerland

Aus Siegen-Meiswinkel, Kreuztal und Freudenberg gingen aber auch vielversprechende Meldungen von Zeitungslesern zu ihren „Kornprümchen“ ein. Diesen Baumbesitzern war der Name „Kornprümchen“ zu den Pflaumen in ihren Gärten überliefert worden. Daher hatten sie auf den Zeitungsartikel reagiert. Auch die jeweiligen Fruchtbeschreibungen stimmten mit denen des „Hünsborner Kornprümchens“ überein. Da es ab Ende August schwer ist, überreife Früchte von „Kornprümchen“ per Post zu verschicken, wurden die Interessenten gebeten, gut gereinigte Fruchtsteine an das Naturschutzzentrum MK zur Bestimmung zu versenden. Diese Fruchtsteine wurden anschließend an Frau Braun-Lüllemann zur Bearbeitung weitergeleitet. Beim Steinobst sind die Fruchtsteine eine wichtige Grundlage bei der Sortenbestimmung. Die „Kornprümchen“ aus Freudenberg und Siegen-Meiswinkel sind aufgrund der Steinproben mit sehr großer Wahrscheinlichkeit mit dem „Hünsborner Kornprümchen“ identisch. Die Früchte eines Kornprümchen-Baumes aus Siegen-Meiswinkel wurden vor dem Zweiten Weltkrieg von dem Großvater der heutigen Baumbesitzerin noch auf dem Wochenmarkt verkauft, was für die ehemalige Wertschätzung dieser kleinen Pflaumensorte spricht.

Über die Zeitungsaufrufe in der Siegener Zeitung entstand auch der Kontakt zu dem Dendrologen und Sortensammler Dr. Frieder Kötz aus Siegen. Er erhält in seiner Sammlung eine AN „Volnsberger Kornpflaume“[3] aus Siegen-Volnsberg, die umgangssprachlich auch als „Kornprümchen“ bezeichnet wird. Ob die AN „Volnsberger Kornpflaume“ mit dem „Hünsborner Kornprümchen“ in Zusammenhang steht, lässt sich aktuell nicht klären.

 

„Roggenpflaumen“ und „Wichtelchen“ aus Kirchhundem-Albaum

Heinrich Fischer, ein 94-jähriger Obstsortenliebhaber aus Kirchhundem-Albaum, erinnerte sich beim Lesen des Zeitungsartikels zum „Hünsborner Kornprümchen“ an einige besondere Pflaumensorten in der Nähe seines Heimatortes. So erwähnte er in einem Telefonat die „Roggenpflaume“, eine frühreifende blauviolette Rundpflaume, die wurzelecht sei. Außerdem nannte der Sortenliebhaber den Namen „Wichtelchen“, eine kleinfruchtige rotviolette Frühpflaume aus der Nähe von Kirchhundem-Albaum.

Bei einer Ortsbegehung konnten unter den Bäumen des „Wichtelchen“ Anfang September noch Fruchtsteine gefunden werden, die zur Bestimmung weitergeleitet wurden. Die Zuordnung dieser Primitivpflaume steht noch aus. Wahrscheinlich wird die Sorte aber erst anhand der Fruchtproben im August 2022 näher zu bestimmen sein.

 

Bestimmung der Pflaumenproben durch Dr. Annette Braun-Lüllemann

Am 31.08.2021 wurden die verschiedenen im Kühlschrank gelagerten Fruchtproben des „Hünsborner Kornprümchens“ und weiterer unbekannter Pflaumensorten aus der Umgebung von Wenden und aus dem Siegerland an Frau Braun-Lüllemann zur Bestimmung verschickt.

Die Früchte der „Kornprümchen“ aus Schönau, Hünsborn und Ottfingen stimmten bis auf einzelne geringe Abweichungen weitgehend überein, so dass sie alle der regionalen Sorte „Hünsborner Kornprümchen“ zugeordnet werden konnten.

Neben den „Kornprümchen“ wurde durch Frau Braun-Lüllemann eine Pflaume aus Gerlingen als „Erntepflaume“ identifiziert. Die „Erntepflaume“ entwickelt rund-ovale blau-violette Früchte, die um einiges größer als das „Hünsborner Kornprümchen“ sind. Zusätzlich fanden sich in Hünsborn mehrere noch unbekannte Pflaumensorten, die als besonders erhaltenswert eingestuft wurden.

 

Fazit zur Pflaumenbestimmung im Raum Olpe und angrenzenden Siegerland

Am Anfang der Obstsaison 2021 war nicht absehbar, welche Sortenvielfalt bei den Pflaumen im Südsauerland und dem angrenzenden Siegerland noch zu entdecken ist. Es ist schön, dass das „Hünsborner Kornprümchen“ über die Zeitungsaufrufe wiedergefunden werden konnte und das Thema der Obstsortenbestimmung in der Leserschaft ein solch positives Echo gefunden hat. Zu der Gruppe der Primitivpflaumen, zu der z. B. Haferpflaumen, Haferschlehen, Kriechen, Zirbarten und Spillinge zählen, gibt es auch im Kreis Olpe noch einiges an Forschungsbedarf.

„Hünsborner Kornprümchen“

 

Baum

Das „Hünsborner Kornprümchen“ wächst sowohl als Strauch wie auch als größerer Baum und kann Höhen von ca. 6 m erreichen. Die Kronenform ist dabei trichterförmig bis breit-pyramidal.

Ältere Bäume entwickeln ein auffallend hängendes Fruchtholz.

Da das „Kornprümchen“ als Hecke erzogen werden kann, ist Pflaumensorte auch für Gartenbesitzer als Grundstückseinfassung oder in der Landschaftsgestaltung interessant. Einen gelegentlichen Rückschnitt der Hecke verträgt das „Kornprümchen“ dem ersten Eindruck nach ganz gut, wie an bereits verjüngten Heckensträuchern zu erkennen ist.

 

Frucht

Die runden Früchte des „Hünsborner Kornprümchens“ haben einen Durchmesser von 18-30 mm und liegen damit zwischen der Größe einer Kirsche und einer Mirabelle.

Die Fruchtschale ist bei unreifen Früchten zunächst gelb-grün gefärbt und verändert sich während der Reife über gelb-rot zu einer rot-violetten Färbung bei Vollreife der Frucht.

Die Reifezeit des „Kornprümchens“ liegt je nach Jahreswitterung zwischen Anfang und Mitte August.

Reife Früchte schmecken süß und sind sehr aromatisch. Der mittelgroße Stein löst sich nicht vom Fruchtfleisch.

Der mitteldicke Stiel ist etwa 10 mm lang und hat eine grün-graue Färbung.

 

Verwertung der Frucht

Durch ihren guten Geschmack eignen sich die Früchte des „Hünsborner Kornprümchens“ bestens für den Frischverzehr. Dadurch, dass sich reife Früchte noch mindestens zwei Wochen im Kühlschrank lagern lassen, hat man eine Zeit lang leckeres Naschobst zur Verfügung.

Reife „Kornprümchen“ lassen sich für die Weiterverarbeitung gut vom Baum schütteln, da sich der Fruchtstiel dann leicht ablöst. Zuvor breitet man unter den Bäumen bzw. Sträuchern eine saubere Plane aus, um die Früchte beim Schütteln aufzufangen.

Da sich der Fruchtstein dieser Pflaume nicht löst, gestaltet sich die Verarbeitung etwas schwieriger. Es lohnt sich aber, aus den Früchten des „Kornprümchens“ eine Marmelade herzustellen. Dazu kocht man die Früchte mit etwas Wasser auf und gibt sie anschließend durch die „Flotte Lotte“, einem traditionellen Passiersieb. Dadurch lässt sich das Fruchtmus gut von den Fruchtsteinen trennen. Das so gewonnene Fruchtmus wird mit Gelierzucker aufgekocht und heiß in vorher gereinigte Gläser gefüllt. Marmelade vom „Hünsborner Kornprümchen“ schmeckt durch den leichten Säureanteil der Früchte nicht nur süß, sondern hat eine aromatische und zugleich erfrischende Note.

Um größere Mengen „Hünsborner Kornprümchen“ sinnvoll zu verwerten, kann man einen Teil der Früchte auch für die spätere Verarbeitung einfrieren. Durch das gute Aroma und einen Zuckergehalt von 15 Brix = 70 Oechsle eignen sich die Früchte zukünftig ebenfalls für die Obstbrandherstellung. Auch ein aus „Kornprümchen“ zubereiteter Likör ist sehr schmackhaft.

Sortenerhalt und weiterer Ausblick

Das „Hünsborner Kornprümchen“ ist aktuell nicht in seinem Bestand gefährdet. Der langfristige Erhalt dieser interessanten kleinfruchtigen Pflaumensorte sollte trotzdem betrieben werden, um so eine regionalgeschichtliche Besonderheit zu sichern. Dazu ist es wichtig, dass das „Kornprümchen“ auch verwertet wird und so wieder eine Wertschätzung in der Bevölkerung erfährt. Dies könnte zukünftig z. B. über die Herstellung von Obstbränden und Likören aus den aromareichen Früchten geschehen.

Da das „Hünsborner Kornprümchen“ auch strauchartig wächst, können Pflanzen der Sorte für gemischte Fruchthecken an der Grundstücksgrenze genutzt werden. Die kleinen Früchte eignen sich auch gut als Naschobst für den Frischverzehr.

Im Frühjahr und Herbst 2021 sind Jungpflanzen des „Hünsborner Kornprümchens“ an verschiedenen Standorten in Nordrhein-Westfalen aufgepflanzt worden (s.o.).

Im November 2021 wurden einige „Kornprümchen“ in eine neu angelegte Wildpflaumenhecke beim Naturerlebnishof Oelken in Lüdenscheid gepflanzt.

In Lüdenscheid sind die „Hünsborner Kornprümchen“ mit „Roggenpflaumen“, „Wichtelchen“ und „Erntepflaumen“ und noch unbekannten Wildpflaumen im Rahmen des LEADER-Obstprojektes zusammen angepflanzt worden, um so einen direkten Vergleich der Sorten untereinander zu haben.

Im Frühjahr 2022 ist geplant, die „Kornprümchen“ auch durch Veredelung langfristig zu sichern und die Pflaumensorte so weiteren Interessenten anbieten zu können.

 

Der Autor dieses Berichtes freut sich über weitere Hinweise zu Standorten und zur Geschichte des „Hünsborner Kornprümchens“.

Kontakt:
Volker Knipp, Naturschutzzentrum Märkischer Kreis e.V., Oelken 79, 58515 Lüdenscheid

E-Mail: vknipp@naturschutzzentrum-mk.de

 

[1] Sternschulte, Agnes und Matthias Scholz: Obst in Westfalen. Westfälische Volkskunde in Bildern Bd. 4. Münster, 1990. S. 152.

[2] In der Liste des NABU-Obstprojektes wird das „Hünsborner Kornprümchen“ allgemein im „Sauerland“ verortet. Bünger, Lydia (Projektkoordination): Erhaltung genetischer Ressourcen im Obstbau in Nordrhein-Westfalen. Tab. 1: Lokale und regionale Obstsorten in Westfalen-Lippe. Stand: August 2012.

[3] AN steht für „Arbeitsname“